Moderator:
Herzlich willkommen zu unserer heutigen Gesprächsrunde. Wir wollen uns mit einer spannenden Frage aus der Aquaristik beschäftigen: „Soll man wirklich auf destilliertes Wasser beim Befüllen des Aquariums verzichten?“ Um dieses Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, haben wir heute zwei Experten zu Gast. Zum einen begrüßen wir ganz herzlich Sebastian Perlwasser, der das Thema eher positiv sieht, und zum anderen Nina Flossentanz, die eine kritischere Haltung einnimmt.
Sebastian, darf ich dich bitten, uns zuerst einen Überblick über das Thema zu geben?
Sebastian Perlwasser:
Sehr gern. Beim Thema „Aquarium befüllen“ denkt man im Normalfall an Leitungswasser oder aufbereitetes Wasser. Destilliertes Wasser kommt jedoch öfter ins Gespräch, vor allem wenn es um empfindliche Fischarten oder Korallen in Meerwasseraquarien geht. Auf den ersten Blick klingt es verlockend, Wasser zu verwenden, das frei von sämtlichen Verunreinigungen ist. Allerdings fehlt destilliertem Wasser jeglicher Mineral- und Salzgehalt. Genau das kann zu erheblichen Problemen führen, wenn man es pur ins Aquarium gibt.
Warum kommt destilliertes Wasser überhaupt in Betracht?
Moderator:
Warum ist destilliertes Wasser für viele Aquarianer dennoch ein Thema?
Sebastian Perlwasser:
Da spielen hauptsächlich zwei Gründe eine Rolle. Erstens gilt destilliertes Wasser als besonders rein. Das ist in der Aquaristik oft ein großes Anliegen, wenn man zum Beispiel keinen Nitrat- oder Phosphatgehalt im Wasser haben möchte. Zweitens versuchen viele, zu harte Wasserwerte zu umgehen. In einigen Regionen ist das Leitungswasser sehr hart, was für manche Fischarten ungeeignet ist. Da könnte man auf die Idee kommen, mit destilliertem Wasser das Aquariumwasser zu „entschärfen“.
Risiken von destilliertem Wasser
Moderator:
Nina, du bist diesem Thema gegenüber kritisch eingestellt. Welche Nachteile siehst du beim Einsatz von destilliertem Wasser?
Nina Flossentanz:
Zunächst einmal darf man nicht vergessen, dass Fische und Pflanzen auf bestimmte Mineralien und Salze angewiesen sind. Destilliertes Wasser ist sozusagen „chemisch leer“ – kein Kalzium, kein Magnesium, kein Kalium und keine Spurenelemente, die für die Tiere und die Biologie im Aquarium essenziell sind. Wenn man ausschließlich destilliertes Wasser verwendet, kann das zu Mangelerscheinungen führen. Zudem ist der pH-Wert in diesem Wasser sehr instabil und kann stark schwanken, was Fische zusätzlich stresst.
Sebastian Perlwasser:
Das stimmt. Das Problem ist, dass destilliertes Wasser dazu neigt, Stoffe regelrecht „anzusaugen“, weil es nach Ionen und Mineralstoffen „verlangt“. Wenn es keine Mineralien im Wasser gibt, kann es sich diese aus den Aquarienbewohnern oder anderen Quellen „holen“, was sehr kritisch ist.
Nina Flossentanz:
Ganz genau. Es kann sogar Metallionen aus Geräten oder Schläuchen lösen, weil das Wasser versucht, sein elektrolytisches Ungleichgewicht auszugleichen. Das kann ganz unerwünschte Nebenwirkungen haben, zum Beispiel, wenn sich Kupfer im Wasser löst, was für Wirbellose sehr giftig sein kann.
Nutzung in der Praxis und mögliche Kompromisse
Moderator:
Woher kommt dann die Idee, man könnte es vielleicht doch sinnvoll einsetzen?
Sebastian Perlwasser:
In der Tat kann destilliertes Wasser eine Rolle spielen, wenn man es richtig anreichert. Manche Aquarianer, vor allem in der Meerwasseraquaristik oder bei sehr empfindlichen Süßwasserfischen wie Diskus, schwören auf Osmosewasser oder ein Gemisch aus Leitungswasser und enthärtetem Wasser. Osmosewasser ist quasi auch ein sehr weiches Wasser, ähnlich rein wie destilliertes, doch wird es oft gezielt aufgesalzen, sodass alle wichtigen Mineralien vorhanden sind. Man kann also in bestimmten Fällen destilliertes Wasser oder Osmosewasser als Basis nutzen, aber immer unter der Bedingung, dass man es mit Mineralsalzen oder Spurenelementen anreichert.
Nina Flossentanz:
Genau. Der springende Punkt ist, dass reines destilliertes Wasser allein nicht die Lösung sein sollte. Aber wenn man gezielt Werte anpassen möchte, kann man das zum Beispiel so machen: Man nimmt einen Teil Leitungswasser, das die nötigen Mineralien enthält, und einen Teil sehr weiches Wasser wie Osmose- oder destilliertes Wasser. Danach fügt man entsprechende Präparate hinzu, um den pH-Wert zu stabilisieren und die Wasserhärte passend einzustellen. Dann kann man empfindliche Fischarten pflegen.
Alternative Wasserquellen im Aquarium
Moderator:
Wenn destilliertes Wasser zur Erstbefüllung also nicht ohne Weiteres geeignet ist, welche Alternativen würdet ihr empfehlen?
Nina Flossentanz:
Für die meisten Standard-Aquarien mit robusten Fischen ist Leitungswasser in Kombination mit einem guten Wasseraufbereiter völlig ausreichend. Moderne Wasseraufbereiter binden Chlor und Schwermetalle und reichern das Wasser mit manchen Zusatzstoffen an, die für Fische und Pflanzen nützlich sind. Damit kommt man in 90 Prozent der Fälle bestens zurecht.
Sebastian Perlwasser:
Und wer sehr spezielle Aquarienprojekte hat – zum Beispiel ein Südamerika-Biotop mit extrem weichem Wasser – der sollte über eine Umkehrosmose-Anlage nachdenken. Diese erzeugt ähnlich reines Wasser wie destilliertes, ohne dass man mit heißen Dampfdestillationsanlagen arbeiten muss. Danach remineralisiert man das Osmosewasser auf das gewünschte Niveau. Viele Fachhändler bieten dafür spezielle Salzmischungen an. Das ist eine viel bessere, weil kontrollierbare, Lösung.
Vor- und Nachteile abwägen
Moderator:
Könnt ihr noch einmal stichpunktartig Vor- und Nachteile zusammenfassen?
Sebastian Perlwasser (positiver Blick):
- Vorteile von (richtig aufbereitetem) sehr reinem Wasser:
- Gute Kontrolle über die Wasserwerte.
- Geeignet für empfindliche Arten, die weiches Wasser benötigen.
- Keine unerwünschten Schadstoffe wie Nitrat oder Kupfer im Ausgangswasser.
- Nachteile von reinem, unaufbereitetem destilliertem Wasser:
- Fehlende Mineralien und Spurenelemente, was zu Stress und Mangelerscheinungen bei Fischen führen kann.
- pH-Wert kann extrem schwanken.
- Kann unerwünschte Substanzen aus der Umgebung lösen.
Nina Flossentanz (kritischer Blick):
- Vorteile von normalem Leitungswasser:
- Bereits biologisch relevante Härte und Mineralien.
- Einfache Handhabung und kostengünstig.
- Für die meisten Fischarten völlig ausreichend, wenn aufbereitet.
- Nachteile bei extrem hartem Leitungswasser:
- Nicht alle Fische vertragen die hohen Härtegrade.
- Eventuell hohe Nitrat- oder Phosphatwerte, je nach Region.
- Erfordert ggf. zusätzlichen Aufwand in der Wasseraufbereitung.
Vertiefung: Biochemische Zusammenhänge
Moderator:
Was passiert genau in einem Aquarium, wenn das Wasser zu rein ist? Könnt ihr das biochemisch noch etwas detaillierter erklären?
Sebastian Perlwasser:
In einem Aquarium finden permanent chemische Prozesse statt. Pflanzen und Mikroorganismen entziehen dem Wasser bestimmte Nährstoffe, geben aber andere ab. Fische und Wirbellose beeinflussen durch Atmung und Ausscheidungen den pH-Wert und die Wasserhärte. Wenn das Wasser extrem rein ist, fehlt eine Pufferwirkung. Das bedeutet, dass selbst kleine Mengen an Säuren oder Basen – etwa CO2 aus der Atmung der Fische oder Nitrat aus den Bakterienprozessen – den pH-Wert stark verändern können. Dieses Auf und Ab ist für die Tiere sehr stressig und kann zu Krankheiten führen.
Nina Flossentanz:
Genau. Ohne Pufferstoffe wie Karbonathärte (KH) kann der pH-Wert nahezu unkontrolliert schwanken. Dazu kommt, dass viele Prozesse im Aquarium z.B. Phosphat oder Nitrit freisetzen können. In Leitungswasser oder remineralisiertem Wasser hat man einen Puffer, der diese Schwankungen abmildert und ein stabiles, lebensfreundliches Milieu aufrechterhält.
Sebastian Perlwasser:
Und außerdem brauchen Pflanzen wie Vallisnerien, Rotala oder Cryptocorynen gewisse Mengen an Mikronährstoffen wie Eisen, Mangan oder Spurenelementen. In reinem destillierten Wasser geht das schnell aus, wenn man nicht genug düngt oder remineralisiert.
Praktische Tipps für Aquarianer
Moderator:
Welche konkreten Tipps oder Vorgehensweisen würdet ihr den Lesern raten, damit sie keine bösen Überraschungen erleben?
Nina Flossentanz:
- Erst einmal die Leitungswasserwerte checken: Wie hart ist mein Wasser wirklich? Wie hoch sind Nitrat und Phosphat?
- Wasseraufbereiter verwenden: In vielen Fällen ist das schon die halbe Miete, weil Chlor und Schwermetalle neutralisiert werden.
- Kein 100-prozentiger Einsatz von destilliertem Wasser: Falls man Wasser mischt, sollte immer ein Teil Leitungswasser oder aufbereitetes Osmosewasser enthalten sein, damit genug Mineralstoffe da sind.
Sebastian Perlwasser:
- Stufenweise Umstellung: Wer bisher immer Leitungswasser genutzt hat und jetzt auf weicheres Wasser gehen will, sollte das in kleinen Schritten tun. Das Aquarium braucht Zeit, sich an veränderte Wasserwerte anzupassen.
- Remineralisierungsmittel verwenden: Hochwertige Salzmischungen für Süß- oder Meerwasser sorgen für stabile Werte und ein gesundes Aquarium.
- Regelmäßige Wasseranalysen: Mit Wassertests für KH, GH, pH, Nitrat und Phosphat bleibt man auf der sicheren Seite. Gerade wenn man empfindliche Arten pflegt, ist das unverzichtbar.
Alternative Methoden zur Wasserenthärtung
Moderator:
Ein kritischer Punkt ist ja oft, dass das Leitungswasser recht hart ist. Gibt es außer Osmosewasser noch andere Möglichkeiten, das Wasser zu enthärten?
Nina Flossentanz:
Manche greifen auf ionenaustauschende Harze oder Torf zurück. Torffilterung zum Beispiel senkt den pH-Wert und kann die Karbonathärte vermindern. Das hat allerdings Grenzen und funktioniert nicht in allen Härtebereichen gleich gut. Bei sehr hartem Wasser ist eine Kombination aus Umkehrosmose und anschließender leicht torfgefilterter Zugabe oft effektiver.
Sebastian Perlwasser:
Es gibt auch kommerzielle Mischbettharze, die Ionen entfernen. Aber das ist eher komplex in der Anwendung, weil man genau wissen muss, wie viel Zeit das Harz im Wasser verbringt und wann es gesättigt ist. Zudem sollte man genau darüber Bescheid wissen, was danach an Ionen oder Stoffen ins Wasser zurückgegeben wird. Osmosewasser mit anschließender Aufsalzung ist für viele der praktikabelste Weg, weil es gut kontrollierbar und inzwischen recht erschwinglich ist.
Beispiel-Szenarien aus der Praxis
Moderator:
Vielleicht könnt ihr noch zwei, drei Szenarien aus der Praxis schildern, damit unsere Leser besser einschätzen können, wann destilliertes Wasser wirklich Sinn macht und wann nicht?
Sebastian Perlwasser:
- Szenario: Anfänger-Aquarium mit Guppys und Platy
- Hartes bis mittelhartes Leitungswasser, pH zwischen 7,0 und 8,0.
- In diesem Fall braucht man absolut kein destilliertes Wasser. Ein Wasseraufbereiter reicht aus.
- Fische sind robust und kommen mit leichtem Schwankungen klar.
- Szenario: Diskus-Aquarium
- Diskus mag weiches Wasser, GH und KH niedrig, pH zwischen 6,0 und 7,0.
- Hier verwendet man oft Osmosewasser oder notfalls destilliertes Wasser, das man dann aber remineralisiert.
- Unbedingt regelmäßige Tests, weil Diskus sehr empfindlich auf Wasserqualität reagiert.
- Szenario: Nano-Aquarium mit Garnelen
- Viele Garnelenarten stammen aus weichem, leicht saurem Wasser.
- Teilweise wird Osmose- oder destilliertes Wasser + spezielle Garnelensalze verwendet, um die gewünschten Parameter zu erreichen.
- Auch hier ist ein reines, unbehandeltes destilliertes Wasser nicht geeignet.
Nina Flossentanz:
Das fasst es gut zusammen. Man sieht, dass man destilliertes Wasser bzw. sehr reines Wasser durchaus einsetzen kann, aber nie allein und nur in Kombination mit dem nötigen Wissen über Aufsalzen und pH-Stabilisierung.
Zusammenfassung und Fazit
Moderator:
Wir kommen so langsam zum Schluss dieser Runde. Könnt ihr die Essenz des Gesprächs noch einmal kurz zusammenfassen?
Sebastian Perlwasser:
Sehr gern. Destilliertes Wasser ist nicht grundsätzlich schlecht, es ist schlicht unvollständig. Das heißt, wer es einsetzen möchte, muss sehr genau wissen, wie man es richtig mineralisiert und welche Werte für die jeweiligen Bewohner optimal sind.
Nina Flossentanz:
Und für die allermeisten Standard-Aquarien reicht normales, gut aufbereitetes Leitungswasser. Destilliertes Wasser oder Osmosewasser ist wirklich für Spezialfälle, bei denen es auf ganz bestimmte Wasserwerte ankommt. Außerdem erfordert das mehr Pflege und Know-how, was nicht jeder Aquarianer unbedingt leisten möchte oder muss.
Schlusswort
Moderator:
Vielen Dank an euch beide, Sebastian Perlwasser und Nina Flossentanz, für das äußerst informative Gespräch. Ich hoffe, unsere Zuhörer haben heute einiges mitgenommen, um ihr Aquarium optimal zu pflegen. Ob man auf destilliertes Wasser setzt oder nicht, hängt also stark davon ab, welche Fische und Pflanzen man halten möchte und wie viel Aufwand man betreiben kann. In jedem Fall gilt: Ein gesundes Aquarium braucht stabile Wasserwerte mit ausreichend Mineralien.
Danke fürs Einschalten und bis zum nächsten Mal!